Mongolei | über Stock und Stein nach Mörön


August 2017
4,5 Tage im Sattel / 4,5 ‚Ruhetage‘
280 km, davon nichts asphaltiert

Durch Flüsse, über Pässe & gegen den Wind
Umzug ins Wintercamp — mit Sack, Pack & Herden
Verblüffende Vielfalt — Taiga, Tibet, Alpentäler

Route | Tariat – Jargalant – Shine Ider – Mörön (Murun)
Hier geht’s zu Karte, GPX- & KML-Dateien.

Mörön, Moron, Murun, Muruun — der Name unserer nächsten, knapp 300 km entfernten, Destination war unaussprechlich. Und jetzt pfiff uns auch noch der Wind mit freudig unangenehmer Stärke von genau dort ins Gesicht. Darauf hatten wir bereits klägliche
15 km hinter Tariat keine Lust mehr. Da kam das einladende Winken des freundlichen Besitzers eines touristischen ‚Ger‘-Camps am Nordufer des malerischen Tsaagaan Nuur gerade recht. Wir schoben unsere Räder in Jurte Nr. 2, heizten den kleinen Holzofen kräftig ein und verbrachten den Nachmittag lesend in der Wärme, während draussen der kalte Wind pfiff.

Der Holzofen, Kochherd und Wärmespender zugleich, bildet den Mittelpunkt jeder Jurte.

Das Nordufer des grossen ‚Tsaagan Nuur‘ windet sich vor uns in der Morgensonne.

Manchmal macht Aufgeben Spass — und auch Sinn. Als wir nämlich am nächsten Morgen unsere Räder aus der warmen ‚Ger‘ schoben, hatte sich der Wind beinahe gelegt.

Bereits auf den ersten 40 km entlang des Seeufers durften wir Dutzende kleine Flussläufe und Bäche durchqueren. Also Schuhe ausgezogen (ja, dank der frischen Temperaturen fuhren wir in Schuhen), Tiefe ausgelotet und dann munter durchgewatet. Wir kamen gut voran und verschwanden schon bald landeinwärts in den Bergen. Die Strecke war auf ihrer gesamten Länge abwechslungsreich und bot von tibetisch anmutenden Hochtälern, alpinen Flussläufen und Taiga-Wäldern bis zu bizarren Felsformationen, als wären sie  direkt aus dem Norden Argentiniens oder dem marokkanischen Atlas importiert jede Menge Abwechslung. Vor allem aber stellte sie uns täglich mindestens einen Pass bereit. Diese Pässe waren zwar nicht hoch, hatten es aber dank der ausgefeilten, nämlich  schnurgeraden mongolischen Routenführung — man denke an ‚Hillclimbing‘ — oft in sich. Und sollte zwischen Pässen und Flüssen doch einmal Langeweile aufkommen, wurden die staubigen Reisenden durch zweckmässig eingestreute Abschnitte knochenverschiebender Wellblechpiste wachgeschüttelt.

Für uns hält die Küste kleine und grosse Hügel bereit….

….und Flussmündungen halten unsere Reifen und Füsse sauber.

Flussebenen können sumpfig sein. Wer trocken bleiben will macht Höhenmeter.

Radlerfreundlich sind kleine Dörfer im Abstand von jeweils etwa 70 km eingestreut.

Brücken trifft man selten an und oft sind sie in desolatem Zustand. Nicht so unsere Räder.

Jeder scheint sich seinen Weg zu suchen.

Auch von tierischer Seite war für Abwechslung gesorgt! Die nächste Yak-, Schaf- oder Ziegenherde war nie weit und die Tiere tummelten sich in allen erdenklichen Hanglagen. Die besten Plätze befanden sich aber offensichtlich meist auf der Strasse! So wurde uns dann die zweifelhafte Ehre zuteil, regelrechte Massenpaniken auszulösen.

Nicht alle Tiere flüchten mit der Herde.

Andere lassen sich auch durch uns nicht von ihrem Aussichtspunkt vertreiben.

Der Verkehr hielt sich in Grenzen, war aber mit zwischen 20 und 30 Fahrzeugen pro Tag reger als auf vorangegangenen Etappen. Immer wieder begegneten uns einzelne mit Hab und Gut, Kind und Kegel und Motorrad be- und überladene, kleine chinesische Transporter oder grosse russische Lastwagen. Der mongolische Winter ist kalt und lang und der Countdown läuft. So machen sich schon einzelne Familien oder ganze Sippen auf, um sich in ihrem Winterlager auf den harten Winter vorzubereiten und Brennholzvorräte anzulegen. Im Sattel ihrer Pferde und Motorräder sitzend, trieben ganze Hirtenfamilien johlend und hupend ihre manchmal bis zu tausend Tiere zählenden Herden durch die Täler. Das Beobachten dieses Treibens lehrte uns Verständnis für das ausgedehnte mongolische Zeitgefühl und die oft stoische Geduld der Mongolen. Denn die Tiere, allen voran die Ziegen, waren ein kaum zu bändigendes Pack und hatten häufig ihre eigenen Vorstellungen betreffend Richtung und Bewegungsgeschwindigkeit!

Umzug mit Kamelen und Wagen war einmal…

…heute muss grosses Gerät aus russischer Produktion her!

Weiterhin campierten wir in der Nähe von Nomaden, wo wir wunderschöne Campspots fanden und man sich rührend um uns kümmerte. Wir wurden mit selbst gemachtem, gezuckertem Yak-Joghurt verwöhnt oder bekamen die Erlaubnis, unser Zelt am schönsten Platz am Fluss aufzustellen — diesen Platz dann auch wirklich mit all seiner natürlichen Schönheit und Ruhe zu geniessen, war jedoch schwierig. Die uns geschenkte Aufmerksamkeit der gastgebenden Familien — oder einfach unser scheinbar immenser Unterhaltungswert? — war so gross, dass wir erst zur Ruhe kamen, wenn wir kurz vor Sonnenuntergang ins Zelt krochen. Bis dahin sass man um uns herum, bestaunte uns, sprach über uns, verhandelte uns, begutachtete unsere Sachen und war einfach fasziniert. Der Abend an dem die zwei Radfahrer da waren, wird wohl allen in Erinnerung bleiben, auch dem Nachbarn, zu dessen Ehren man uns morgens um sieben wieder aus dem Zelt klopfte. Erst als wir in die Pedale stiegen, kehrte der Alltag ein. Yaks wollten gemolken werden, Motorräder wurden gestartet, Herden in die Hänge getrieben, und aus den Kaminenrohren der Jurten stieg Rauch.

Flussläufe und Campspots zum verlieben…

…serviert mit Yak-Joghurt aus der ‚Ger‘ (Jurte‘) nebenan.

Gross und klein, alle sind sie da! Auch von dieser Hirtenfamilie werden wir mit offenen Armen empfangen.

Manch eine Flusswindung ist so einladend, dass wir um eine Pause einfach nicht herumkommen.

Manchmal spielte alles mit. Dunkle Regenwolken zogen tatenlos vorüber, Regen fiel neben und nicht über uns, der Wind schob uns an, und die Flüsse waren glasklar und genau dann zur Stelle, wenn sich die Flaschen zu leeren drohten.

Doch die Freude sollte nicht lange währen. Im Laufe des dritten Tages, keine 80 km vor Murun, wurde Daina flau im Magen. Trotzdem kämpfte sie eine Steigung nach der anderen hoch und ertrug das Durchschütteln der Gedärme in den anschliessenden Abfahrten tapfer. Je weiter der Tag voranschritt, um so schlechter ging es ihr. Eine ungeschriebene Regel scheint zu besagen, dass dies nicht an Orten geschieht, an denen man sich einfach unter den nächsten Baum, ins Gras oder gar in ein Hotelzimmer legen kann. Nein, es ereilt einem in unwirtlichen Gegenden mit einem Ende-der-Welt-Flair. So schleppte sich Daina gegen Abend, nach einem kurzen Powernap im Staub und einer anschliessenden spontanen Magenentleerung, einen weiteren steilen Hügel hinauf. Als sich dann, oben angekommen, hinter einem Regenschleier und unter einem unglaublich leuchtenden Regenbogen, eine Ebene abzeichnete, war sie gerettet. Wir schlugen unser Zelt auf, krochen sogleich hinein und verbrachten eine Nacht in kollektiver fiebriger Übelkeit. Diese, wohl von einer Lebensmittelvergiftung stammenden, Übelkeit, hatte mittlerweile auch Robin im Griff. Vielleicht Lust auf Yakbutter aus dem Eimer?

Die Pfade in der Mongolei sind endlos und verworren.

Manch eine Abfahrt ist mit grossen Steinen gespickt und mit Schlaglöchern gewürzt.

Wir würzen unseren Mittag teils mit einem Nickerchen am Wegrand.

Oder lassen es auf der Abfahrt krachen.

Am nächsten Morgen ging es uns bereits etwas besser und weiteres Erbrechen half, wieder halbwegs munter zu werden. Doch da wir am Vorabend nichts mehr hatten essen können, fehlte beiden Kraft und Saft. Der 10 km lange Anstieg zur Passhöhe, keine 500 Höhenmeter höher gelegen und eigentlich ein Klacks, war ernüchternd qualvoll und wir kämpften um jeden Meter. Kurz nach der Passhöhe plötzlich ein kleines Restaurant vorzufinden war für die Mongolei äusserst ungewöhnlich — und in diesem Moment ein Segen. Im Regal strahlte uns dort eine grosse Flasche Coca Cola an, die uns wieder zu Kräften bringen wollte — was sie auch tat! Die Welt wurde langsam wieder bunt, die Sonne zeigte sich, die Strasse neigte sich und wider Erwarten konnten wir die noch verbleibenden 30 km nach Murun tatsächlich geniessen.

Mit der rettenden Flasche Coca Cola sitzen wir in der Sonne…

….und verputzen dann im Restaurant eine Portion ‚Guilasch‘.

So blühen die Blumen bald wieder für uns und wir erreichen Mörön (Murun) bei bester Laune, wenn auch nicht ganz gesund.