Mongolei | die Berge von Khangai

August 2017
7 Tage im Sattel / 4 ‚Ruhetage‘
480 km, davon 72 km asphaltiert
3’335 Höhenmeter

endlose Hügel und steinige Tracks
nomadische Gastfreundschaft
Vodka, Feldstecher & Hirtenhunde
Kälte, Pässe, Schneegestöber

Route | Tsetserleg – Jargalant – Zag – Changai – Tariat (Um die Strecke auf der Folgeetappe nicht doppelt zu fahren, folgten wir die letzten 43 Km der Strasse entlang der Südseite des Sees) GPX und zoombare Karte

Tsetserleg, die kleine Provinzhauptstadt, hielt uns zwei Tage auf Trab. Anstatt unseren müden Knochen etwas Ruhe gönnen zu können, galt es, einiges zu erledigen. Wir hatten uns vor unserer Abreise selbst ein Ei gelegt, welches wir nun dringend ausbrüten mussten. Zur Trinkwasseraufbereitung verwendeten wir ein kleines Gerät von der Grösse einer mittleren Karotte, ‚MSR-MIOX‘ genannt. Damit lassen sich mit Strom, einer Prise Salz und ein paar Millilitern Wasser, innert weniger Sekunden, ein paar Tropfen einer Chlorlösung erzeugen. Ins Wasser gemischt wird damit, nach entsprechender Wartezeit, aus Yakdunglastigen Gebirgsbächen und verunreinigten Flüssen, sauberes Trinkwasser — wenn auch mit leichtem Freibadgeschmack. Dies klappt aber nur mit den nötigen Batterien, kleine dicke Dinger vom Typ CR123a, wie sie früher in jeder Kamera Platz fanden. Solche Ersatzbatterien aufzutreiben, hatten wir im Abreisestress vergessen und dies stellte sich nun in Tsetserleg als unmöglich heraus, ebenso wie bereits zuvor in Ulaanbaatar und Kharkhorin. Die Suche danach nahm aber einen Grossteil unserer Zeit in Anspruch.

Generell bevorzugen wir es, uns unsere Wege selbst zu suchen, und hatten dies auch in den beiden vorangegangenen Etappen so gehandhabt. Dazu werden Karten studiert, mit Onlinekarten abgeglichen, Distanzen abgeschätzt und, da viele Wege weder hier noch da aufscheinen, auch ‚GoogleEarth‘ nach sandigen Jeepspuren durchforstet. Es gilt mögliche Verpflegungspunkte in Form von Ortschaften zu finden, die nötigen Vorräte zu berechnen und — nicht ganz unwichtig — Wasserquellen, meist Flüsse, zu definieren. Für die nächste Etappe durch die Khangai-Berge bot sich aber eine, von Cass Gilbert gemünzte, Route geradezu an. Sie versprach abgelegene, wilde Natur, schöne Pässe und schön-schlechte Pisten. Die asphaltierte Alternative nach Norden stand dagegen von Beginn weg auf verlorenem Posten. Wir sollten nicht enttäuscht werden.

Die Pfade sind verspielt, fordern uns….

…und sie sind oft mit grossen Steinen übersät.

Auf der Passhöhe wartet jeweils der Ovoo mit seinen Geistern, teils in dunkle Wolken gekleidet.

Wie Kamele ziehen wir, oft in Einerreihe, dahin.

Während andere ihrer Arbeit nachgehen oder sich der Menge unterordnen.

So verliessen wir Tsetserleg schliesslich ohne die gewünschten Batterien, dafür mit einigen Tabletten zur Desinfektion von Schwimmbädern (Poolwasser gleich Trinkwasser, wenn richtig dosiert) und den wichtigsten Informationen zur bevorstehenden Route im Gepäck. Auch weil Murray Benn, der hilfreiche, australische Besitzer des ‚Fairfield Guesthouse‘ in Tsetserleg, sein fundiertes Wissen um Strassenzustand und örtliche Gegebenheiten bereitwillig mit uns geteilt hatte.

Wie immer waren die ersten Meter ‚On the Road‘ befreiend — ein Gefühl von Freiheit so intensiv, dass es sich nur schwer beschreiben lässt! Wir füllten an der Quelle am Ortsausgang unsere Trinkwasservorräte und verschwanden kurz darauf wieder in den endlosen Hügeln der Mongolei, wo Pferdeherden freudig galoppieren und abgetrennte Ziegen- und Schafhufe (kein Witz), Motorradteile und Vodkaflaschen die Pfade säumen. Eben diese Vodkaflaschen liessen uns unsere Camping-Strategie neu überdenken. In den ersten beiden Wochen hatten wir meist nach fünf Uhr damit begonnen, ein möglichst abgeschiedenes Plätzchen für die Nacht zu suchen, und waren in 3 von 4 Fällen trotzdem kurz vor Sonnenuntergang von Hirten gesehen worden — das jeder Hirte einen Feldstecher oder ein Fernglas unter seinem Mantel verborgen am Gurt trägt, fanden wir erst nach einiger Zeit heraus. Dies war bisher nie ein Problem gewesen, doch hatten wir durch Andeutungen oder Blicke das ein oder andere Mal zu spüren bekommen, dass die Wahrnehmung westlicher Frauen bei manchen mongolischen Männern nicht eben der Realität entsprach. Diese Einstellung, in Kombination mit rauen Mengen Vodka und Abgeschiedenheit, war nicht etwas, wovon wir nachts, schlafend im Zelt, überrascht werden wollten. Anstatt uns zu verstecken, hielten wir von nun an zu gegebener Zeit bei Jurten, möglichst solche mit Frauen oder Kindern in Sichtweite, und baten darum, in ihrer Nähe, und damit unter ihrem Schutz, unser Nachtlager aufschlagen zu dürfen.

Von nun an campieren wir in der Nähe von Jurten. Auch dort finden sich schönste Aussichten und…

…die Nomaden sind oft unglaublich freundlich, aber scheu.

Doch auch sie mögen dicke Reifen.

Obwohl die Nomaden anfangs oft skeptisch waren, gewährten sie uns unseren Wunsch, erst in Zeichensprache und später durch ‚GoogleTranslate‘ übermittelt, meist. Die daraus resultierenden Begegnungen werden unvergessen bleiben. Manche Familien kümmerten sich anschliessend nicht gross um uns und überliessen uns müde Stinker uns selbst. Dies war uns, nach einem strengen Tag im Sattel, oft ganz recht. Wir kochten unser Abendessen und legten uns früh schlafen. Am nächsten Morgen aber, nachdem wir unser Zelt abgebaut hatten und klar wurde, dass wir weder Randale machen noch ihre Hunde töten und ihre Rinder rauben wollten, war man plötzlich freundlich. Unser Lächeln wurde erwidert und oft lud man uns sogar, mit überraschender Herzlichkeit, in die ofenbeheizte Jurte zu salzigem Milchtee und Gebäck ein, während gleichzeitig Babies gewickelt oder Plätzchen gebacken wurden.

An anderen Abenden aber waren wir zugleich Zirkus als auch Ehrengäste. Nachdem man uns abwägend den optimalen Platz für Zelt und Wohlbefinden zugewiesen hatte, half man uns beim Aufstellen unseres Zeltes, was für diese Berufscamper in der hundertsten Generation natürlich ein Leichtes war! Die Art, wie uns diese unter einfachsten Umständen lebenden Menschen mit offenen Armen empfingen, sich unser annahmen und alles mit uns teilen wollten, berührte uns tief — einmal bot man uns sogar den zuvor unter Jubel gefangenen Fisch an.

Man lädt uns in die gute Stube ein…

….und verwöhnt uns mit Milchtee oder Yakbutter.

Und manche würden uns sogar den eben gefangenen Fisch schenken!

Während uns die wachenden Hirtenhunde oft nachts im Tiefschlaf behüteten, konnten sie auch anders. Denn nicht immer war allen Hunden klar, dass wir geduldete Gäste in ihrem Revier hätten sein sollen. Einem besonders grossen Exemplar, nennen wir es ‚Cujo‘, passten wir ganz und gar nicht in den Kram. Dies deutete er bereits bei Tageslicht durch Markieren von Robins Fahrrad und durch ständiges, unfreundliches Knurren an. So richtig in Fahrt kam er dann aber, als wir gerade friedlich in die Tiefschlaf-Phase eintauchen wollten. Dann nämlich läutete er die erste Angriffswelle ein. Was auch immer ihn dazu bewogen hatte, er war fuchsteufelswild und kläffte, knurrte und tobte direkt neben unserem Zelt, immer gefühlte zwanzig Zentimeter und fünf Sekunden von einem Biss in Robins Schädelplatte entfernt. Nur die Imprägnierung unseres Zeltes verhinderte wohl, dass wir seinen mit Sicherheit fauligen Atem nicht riechen konnten. Dieses haarsträubende Prozedere wiederholte sich im Laufe der Nacht noch weitere zwei Mal und liess uns am Morgen mit dunklen, schwarzen Ringen unter den Augen aus dem Zelt kriechen. Da hütete die Bestie bereits friedlich Schafe.

Kamelherde am Wegrand: Ausgeglichener als die meisten Hirtenhunde.

Aber nicht nur Hunde hielten uns bei Laune. Auch das Wetter zog alle Register. Regenwolken ärgerten uns, Gewittertürme drohten uns und immer wieder machten wir uns auf Unwetter gefasst, blieben jedoch meist verschont. Bald aber wurde es zu kalt für Gewitter, denn täglich sanken die Temperaturen tiefer und ein beissender Wind pfiff uns tagelang ins Gesicht. Mit besagten, dunklen Ringen unter den Augen kam dann, was kommen musste. Schnee, oder besser gesagt Graupel, fiel aus dichten schwarzen Wolken, und kurz vor einer Passhöhe auf etwa 2’700 MüM winkten uns zwei junge Nomadenfamilien zu ihren Jurten. Den Pass könnten wir bei diesem Wetter nicht passieren, gaben sie uns zu verstehen. Stattdessen luden sie uns in ihre Ger zu Yakbutter-Brot und Yakbutter-Tee ein, erzählten uns von der Murmeltierjagd, zeigten uns ihr Satellitentelefon und die Murmeltöter-Flinte und versorgten uns schliesslich mit einer dampfenden Flasche Tee für die Weiterfahrt, die noch den einen oder anderen Schneesturm im Hochgeschwindigkeits-Hagelformat für uns bereit hielt.

Erwischen uns Gewitter im Sattel, so schaltet Robin unweigerlich in den Notfallmodus, die Beine legen plötzlich ein dopingverdächtiges Tempo vor und hören erst auf, wenn er sich ausser Reichweite der Blitze wähnt. Jedem seine Ängste.

Dunkle Wolken künden Unheil an…

…und wenig später zieht der erste Schneesturm heran. An Flucht ist hier nicht mehr zu denken.

Meistens aber ist der endlose Augusthimmel über den Bergen mit Wolken überzogen.

Nach sieben schönen, strengen und ereignisreichen Tagen erreichten wir das kleine Dorf Tariat am See Tsaagaan Nuur, wo wir uns — nach sieben Tagen weder unverdient noch unnötig — erst eine heisse Dusche in der öffentlichen Dorfdusche (!) gönnten und dann, im ersten ‚Minimarkt‘ in einem Regal, einen Haufen eben jener von uns so dringend zum baldigen Ersatz gesuchten Batterien entdeckten! CR123a, alles wird gut.

Glaubt man diesem Steinkreis aus der Bronzezeit direkt am Wegrand, sind wir nicht die Ersten, die hier durchkommen.