Juni 2018
21 Tage, davon 7 Ruhetage
727 km, 15’966 hm
6 Pässe, davon 3 ungeteert
Frühling – im Land der Aprikosen
Berge – Pässe & endlose Blumenwiesen
Hirtenhunde – Bestien im XXL-Format
ROUTE | Grenze Georgien (Bavra) – Trchkan Wasserfall – Shirakamut – Spitak – Vanadzor – Margahovit – Meghradzor (via H27, GPX Tracks zum Download) – Hrazdan – Arzakan – Saralanj – Yeghvard – Yerevan – Geghard – Geghamagebirge (GPX Tracks zum Download) – Nshkark – Selim Pass – Shatin – Karmrashen – Sisian – Vorotnavank Kloster – Shenantagh – Tatev (GPX Tracks Shenantagh – Tatev hier) – Karpan – Meghri (via M17) – Agarak (Grenze Iran)
ARMENIEN
Bereits die letzten Dörfer in Grenznähe zu Armenien haben sich nicht mehr georgisch angefühlt. Die Menschen sahen anders aus, sprachen armenisch und die Autos waren (noch) klappriger. Aprikosen, so hatte man uns bereits gesagt, wären in Armenien am besten. Und unsere Erwartungen wurden nicht enttäuscht: Sie waren süss, fruchtig, saftig und vor allem omnipräsent! Waren wir nicht gerade abseits jeglicher Zivilisation in den Bergen, so verging selten ein Tag, an dem uns nicht jemand frische Aprikosen in die Hände drückte. Mehr als einmal sprangen Aprikosenhändler vor uns aus ihren überfüllten kleinen Ladas, um uns mit den süssen Früchten zu überhäufen. Manchmal gab es dazu gleich auch noch anderes Gemüse.
Von den Aprikosen abgesehen, haben wir an Armenien keine Erwartungen gehabt. Umso schöner war es, ein Land voller offener, freundlicher und herzlicher Menschen bereisen zu dürfen. Passanten und Hirten kamen auf uns zu, löcherten uns mit Fragen und gaben uns Tips. Autofahrer hielten, boten uns Wasser an. Und bereits im ersten Dorf nach der Grenze drückte uns ein Soldat je ein Glacé in die Hände: „Welcome to Armenia!“
Weniger freundlich begrüsst wurden wir, besonders in abgelegenen Gegenden, von den armenischen Hirtenhunden. Diese Bestien im XXL-Format drehten bei unserem Anblick teils völlig durch und wurden zu Löwen. Altbewährte Hunde-Deeskalations-Taktiken wie Brüllen, Drohen oder Gegenangriff halfen nur begrenzt. Die Hunde drehten kurz ab, nur um Sekunden später, noch wütender, wieder zum Angriff überzugehen. Es blieb uns nur, auf Hilfe zu warten und zu hoffen, dass diese eintraf, bevor die Hunde zubissen. Hilfe kam dann meist in Gestalt eines Hirten aus einem nahen Zelt geschlurft. Teils waren die Viecher aber so in Rage, dass sie die Kommandos ignorierten und von den Hirten nur durch rabiates (sprich brutales) Zerren an den Hinterbeinen von uns abgebracht werden konnten. In einem Fall machte dies einen der Hunde – sein Kopf fauchte und triefte auf Ellbogenhöhe! – so wütend, dass er den Kopf seines Kameraden keine zwei Meter neben uns zu zerfleischen begann.
Wenigstens mit den Menschen klappte die Kommunikation meist problemlos, trotz unserer rudimentären Russisch-Kenntnisse. Englisch war hier viel weiter verbreitet als im benachbarten Georgien.
Wie in der ganzen Kaukasus-Region war der Frühling 2018 sehr nass ausgefallen. Unsere erste Woche in Armenien war dann auch von Gewittern geprägt. Der Staub der Nebenstrassen verwandelte sich in klebrigen Schlamm, kleine Bäche wurden zu Flüssen und eine Passstrasse glich einer Wasserrutsche. So war statt Fahren immer wieder Schieben angesagt, und die Crocs an unseren Füssen zeigten hier ihr wahres Können.
In Afrika, genauer in Gabun, hatte man uns vor einigen Jahren befohlen, vor dem Besuch der Hauptstadt aus Respekt gefälligst (!) unsern alten Jeep zu waschen. In Erinnerung daran – und um unsere Chancen bei der Hotelsuche zu erhöhen – gönnten wir unseren Fahrrädern am Stadtrand von Jerewan, der Hauptstadt Armeniens, eine ordentliche Reinigung, die an ein Schaumbad grenzte.
Als erstes galt es dann in Jerewan auf der iranischen Botschaft ein Visum zu ergattern. Den nötigen Antrag hatten wir bereits zwei Wochen zuvor online gestellt. Dies ist aber kein Garant dafür, das Visum auch wirklich zu bekommen. Doch die Botschaftsmitarbeiter waren freundlich und zuvorkommend. Sie hakten beim Ministerium in Teheran nach – und drei Tage später hatten wir beide ein gültiges Visum im Pass! Wir konnten es kaum glauben, hatten wir doch mit dem Schlimmsten gerechnet: Beim letzten Mal, 2004 in Bishkek, Kirgisien, hatte man uns nämlich geschlagene zwei Wochen täglich antraben und warten lassen!
Die fünf Tage in Jerewan, einer schönen, grünen und überraschend westlichen Stadt mit 1 Mio. Einwohnern, nutzten wir auch zur Planung der Weiterreise. In stunden-, wenn nicht tagelangem Studium vom Onlinekarten (Openstreetmaps, OpenHikeHD) entstand eine Route durch die Berge.
Der Plan ging auf. Unsere Route führte uns von Jerewan nach Osten durchs das Geghamagebirge (Geghama Lerrnashght’a) zum Selim-Pass – ein grosser Umweg, aber ein schöner! Nach gut 30 km ging der Asphalt in Schotter über und nochmals 15 km später war von der Strasse nichts mehr übrig. Es blieben sanfte Spuren im Gras, dort wo einmal Autos gefahren waren. Dann verschwanden auch diese. Aber Smartphone- und Offline-Navigation sei Dank, wir hatten unseren Lotsen namens Samsung in der Tasche! Vorbei an den letzten Zelten der halbnomadischen Bauern, welche jetzt hier oben ihre Sommercamps errichteten, schoben wir die Räder immer höher, bis wir auch die letzten Kühe und Schafe hinter uns gelassen hatten.
Der nasskalte Frühling hatte seine Spuren hinterlassen, an vielen Flanken und in schattigen Passagen lag noch meterdick Schnee. Nach einer Nacht im Zelt, zwischen hunderten Felsbrocken vor dem beissenden Wind geschützt, kamen auf der Weiterfahrt unsere breiten Reifen hier so richtig in Fahrt und zauberten uns ein breites Grinsen in die Gesichter. Umgeben von schneegekrönten Bergen rollten wir über saftige Wiesen, durchquerten sumpfige Senken im Sattel und ‚cruisten‘ über grosse Schneefelder. Wir waren im Bikepack-Paradise – und es sollte noch besser kommen.
Mit der (namenlosen?) Passhöhe auf 3‘199 m erreichten wir den höchsten Punkt dieser Route. Weit unten, auf 2‘000 m, glitzerte der Sewan-See in der Sonne, direkt dahinter ‚Bergkarabach‘ (‚Nagarno Karabach‘) und die Waffenstillstandslinie zu Aserbeidschan, mit welchem Armenien seit 1991 offiziell im Krieg steht. Doch ‚Nagorno Karabach‘ war für uns ‚off limits‘. Obwohl es ruhig ist und ein Besuch problemlos möglich gewesen wäre, wollten wir nicht riskieren, deswegen dann an der iranisch-aserbeidschanischen Grenze zurückgewiesen zu werden.
Vor uns lag jetzt eine der bisher unvergesslichsten Abfahrten hinunter in die Ebene, von wo uns nur noch ein kurzer Aufstieg zum Selim-Pass (2‘410 m) trennte, der früher auch als Vardenyats Pass bekannt war. In Ermangelung eines Pfades holperten und kurvten wir an die 1000 Höhenmeter hinunter – auf einem scheinbar endlosen Teppich von farbige Blumen.
Hier oben hatte um diese Jahreszeit niemand mit uns gerechnet! Auf der Passhöhe schlug unsere Erscheinung zwei Füchse in die Flucht, wenig später suchten zwei Wölfe das Weite. Diese wären für Menschen keine Bedrohung, erklärte uns später ein freundlicher Hirte in einer Mischung aus Russisch und Zeichensprache – man müsse sie bloss erschiessen, bevor sie beissen. Zum Abschied warnte er uns dann noch vor seinen eigenen Hunden!
Unsere Route durch Armenien bestand aus einer einzigen Abfolge von Tälern und Pässen. Generell begannen wir nach 19 Uhr nach einem Campspot Ausschau zu halten. Einmal, nach Sisian, es begann bereits einzudunkeln und Gewitterwolken zeigten gewaltige Drohgebärden, hatten wir immer noch keinen Nachtplatz gefunden. Und dann öffnete sich unverhofft das Tal vor uns. Und gab den Blick auf ein altes Kloster frei. Das Kloster ‚Vorotnavank’ sass auf einem Felsvorsprung und bot uns, im Schein der letzten Sonnenstrahlen, seinen Schutz an – den wir dankend annahmen! Das Kloster aus dem 11. Jh. war verlassen, es war durch ein Erdbeben im Jahre 1913 teils beschädigt, aber wunderschön. So hatten wir es in all seiner Pracht für uns alleine! Mit Blick auf den alten Friedhof und den klostereigenen Aprikosengarten platzierten wir das Zelt windgeschützt im Hof und kochten, während sich rundherum das Gewitter austobte, ein bescheidenes Abendessen. Göttlich!
Und göttlich ging es dann auch gleich weiter, mit einem Besuch beim (viel bekannteren) Kloster von Tatev.
Der Grenze zu Nagorno Karabach folgend hielten wir südwärts und erreichten schliesslich, keine 20 km von der Grenze zu Iran, den Meghri Pass. Und damit traten wir ein in eine völlig andere Welt. Das üppige Grün, das wir in Armenien so geliebt und genossen hatten, wich einer schroffen, kargen Wüstenlandschaft. Gegen Böen in Backofentemperatur fuhren wir hinab in die Hölle, die hier in trocken-staubigem Braun gehalten war.
Doch Armenien hatte noch eine letzte Überraschung für uns bereit. Am Grenzfluss zum Iran, weniger als 20 km vor der Grenze in Agarak, wurden wir an einem Checkpoint angehalten. Zu unserem Erstaunen wurden hier unsere Pässe (und auch unsere Fotos auf Robins Telefon!) von Soldaten kontrolliert. Auf Nachfrage stellten wir erstaunt fest, dass es sich bei ihnen nicht etwa um armenische, sondern von russische Soldaten handelte. Man traute uns anscheinend nicht! Waren wir Fahrradspione? Wollten wir vielleicht heimlich den Grenzfluss durchschwimmen? Zur Sicherheit setzte man danach zwei Russen in Zivil in einem schwarzen Lada mit getönten Scheiben auf uns an. Ihren Auftrag, uns auffällig zu beschatten, unfreundlich zu kontrollieren und bedrohlich zu blicken, haben sie über eine gewisse Strecke perfekt ausgeführt.
Nach genau drei Wochen in Armenien war es an der Zeit weiterzuziehen. Land und Leute hatten uns begeistert, Aprikosen täglich unser Leben versüsst, und die Berge hatten sich von ihrer besten Seite gezeigt – wir wären am liebsten geblieben. Merci Armenien! Շնորհակալություն Հայաստան!