Mongolei | die letzten Meter

Oktober 2017
2 Tage im Sattel
150 km, 50 % asphaltiert
1 gebrochene Zeltstange

Motivation — der fehlende rote Faden & ein neues Ziel
Lost — verloren in der Routenwahl
Kälte — Zeltstangen brechen, Knie schlottern
Stimmen im Dunkeln — Schlaflos in der Mongolei

ROUTE | Sükhbaatar (Grenze Russland) — Shaamar — Zuunburen — Shaamar — Darchan — Ulaanbaatar (Wir sind nur den roten Teil der Strecke mit dem Rad gefahren)

Nach einem erlebnisreichen Monat im herbstlichen Sibirien hat uns die Transsibirische Eisenbahn am 14. Oktober im mongolischen Grenzbahnhof Sükhbaatar ausgespuckt. Jenem Ort, an dem wir wenige Wochen zuvor unsere Räder für die letzten Kilometer zur russischen Grenze bei Altanbulag gesattelt hatten.

Der mongolische Grenzbahnhof Sükhbaatar in der Abenddämmerung.

Doch beginnen wir von vorne. Bereits Wochen zuvor waren unsere ursprünglichen Reisepläne durch ein zermahlenes Radtretlager und einen geschlossenen Grenzübergang nach Russland bei Murun komplett über den Haufen geworfen worden.

Mit Visabestimmungen und vorgegebenen Ein- und Ausreisedaten jonglierend, hatten wir unsere Reiseroute seitdem laufend improvisiert und angepasst. Wir hatten das Beste aus jeder Situation gemacht und die Reise genossen. Es war uns gelungen, eine sinnvolle, spannende und in grossen Teilen fantastische Route zusammen zu knüpfen.

Trotzdem hatte sich seither immer wieder — und öfter — ein Gefühl des Herumirrens breitgemacht. Nein, unsere Reiselust war nicht etwa gesättigt und unsere Neugier nicht erloschen. Ganz im Gegenteil! Doch plötzlich war aus der grossen Runde durch die Mongolei und Sibirien eine ‚Sternwanderung‘ geworden — mit Ulaanbaatar als deren Mittelpunkt. So schlitterten wir nach und nach in eine gewisse Sinnkrise: Uns fehlte der rote Faden einer zusammenhängenden Route.

Je näher wir Irkutsk gekommen waren, umso mehr nahmen diese Gefühle überhand. Die Distanzen in diesem Teil der Welt waren weit, schienen oft endlos und verleiteten zum Grübeln. Und natürlich begannen die Gedanken bei täglich bis zu zehn Stunden im Sattel Kreise zu ziehen. Doch eine Rückkehr nach Ulaanbaatar war unumgänglich. Die russische Visa-Uhr tickte und visafreie Nachbarländer lagen fern. Ausserdem hatten wir einige Habseligkeiten in der Mongolei deponiert.

Nun waren wir also zurück auf Feld eins, zurück in der Mongolei. Zu unserem Entsetzen mussten wir uns eingestehen, dass hier die Luft wie raus, der Zauber verflogen schien. Die farbigen Blätter waren verschwunden. Der erste Schnee hatte die sandigen Pisten in schlammige Gräben verwandelt, war aber nicht liegen geblieben. Die Nomaden trugen plötzlich gefütterte Hosen und dicke Stiefel — und wir immer noch ‚Beinlinge‘ und Sneakers.

Auf den Märkten sind warme Stiefel um diese Jahreszeit gefragt.

Da standen wir also an diesem 14. Oktober in Sükhbaatar. Eigentlich wollten wir mit der Eisenbahn bis nach Ulaanbaatar fahren. Doch unserer Räder wegen wollte dies die mongolische Bahn nicht. So lag nun eine Strecke vor uns, die zu radeln wir keinerlei Lust verspürten. Doch in einem plötzlichen Anflug von Abenteuerlust und in der Hoffnung, den mongolischen Funken erneut zu entzünden, beschlossen wir, Ulaanbaatar in einem weiten Bogen nach Westen anzusteuern. Weitere 500 bis 700 Radkilometer auf einer Route, von der wir nicht wussten, ob sie realistisch war.

Nach einem ersten Tag im Sattel fanden wir in einem Wäldchen am Ufer des Selenge einen Lagerplatz. Obwohl die Temperaturen nicht unter -10° fallen sollten, war mit einer bitter kalten Nacht zu rechnen. Bereits beim Aufbau des Zeltes fiel eine Zeltstange der Kälte zum Opfer — sie brach so leicht, als wäre sie eine Salzstange. Die erste Euphorie war dahin, und kurz darauf lagen wir missmutig im Zelt.

Doch die Nacht war noch jung und kam erst richtig in Schwung. Obwohl die Gegend menschenleer erschien, liess im Laufe der Nacht nicht allein die Kälte unseren Atem stocken. Immer wieder erklangen einzelne Stimmen in der Dunkelheit! Mal waren sie nah, mal fern, mal flüsterten, mal schrien sie! Als Krönung begann mitten in der Nacht jemand aus vollem Hals wenige Meter neben unserem Zelt laut zu singen. Er schritt im dichten Gestrüpp an uns vorbei und verstummte kurz darauf so plötzlich, wie er erschienen war.

Die Nacht war kalt. Der kluge Camper sorgt vor und giesst das Wasser bereits abends in den Topf — aus jeder Flasche etwas. So lässt sich am Morgen ein wärmender Kaffee damit kochen. Schluckweise in gefrorene Wasserflaschen gegossen, verwandelt sich auch dort das Eis schneller wieder zu Trinkwasser.

Doch diese eine Nacht lässt uns alt aussehen, auch mit Kaffee am Morgen danach. Desillusioniert enteisen wir das Innere unseres Zeltes, packen unsere Sachen und ändern unsere Pläne.

Doch die 50 km zurück zur Hauptstrasse sind wir bereits in beide Richtung gefahren. Wir wollen sie nicht noch ein drittes Mal abstrampeln und halten einen Lastwagen an.

Am Morgen sass uns die Kälte in den Knochen. Auch machten uns Zelt und Wetter Sorgen. Vor allem aber hatte die unheimliche Nacht den letzten Funken Motivation erstickt. Wir kehrten auf die Hauptstrasse zurück und legten die verbleibende Strecke nach Ulaanbaatar zu je einem Drittel im Sattel, per Anhalter im Lastwagen und in der Wärme eines lärmigen Busses zurück.

Zwischen den endlosen Geraden windet sich die Strasse immer wieder über zahllose kleine Pässe.

Die Strecke in die Hauptstadt ist schön und lässt unvermittelt kleine Seen neben uns erscheinen.

Doch im Gegensatz zu den einsamen mongolischen Nebenstrassen braust uns hier Schwerverkehr um die Ohren. Mongolische, russische, aber auch europäische Lastwagen lassen uns in ihrem Nebel husten.

In der nordmongolischen Industriestadt Darchan starten wir einen zweiten und letzten Versuch, die mittlerweile sehr stark befahrene Haupstrasse zu verlassen.

Wir werden jedoch bereits wenige Kilometer ausserhalb der Stadt von Schnee und Schlamm ausgebremst. Enttäuscht kehren wir um und nehmen den Bus nach Ulaanbaatar.

In Ulaanbaatar herrscht Regen statt Schnee. Wir buchen einen Flug nach Seoul und erkunden die Stadt mit ihrem riesigen Markt…

…während im Zentrum der Stadt ein buntes Hochzeitsfieber grassiert, bietet sich uns ein Kontrast aus Tradition und Moderne, wie er grösser kaum sein könnte.

Unbeeindruck von dem Trubel halten die mongolischen Krieger auf dem Hauptplatz ihre Stellung. Im Wissen, dass sie dies auch weiterhin tun werden, können wir getrost nach Südkorea fliegen.

Wir hatten für diesen Teil aufgegeben, doch es war aufgrund der Umstände richtig so. Es war an der Zeit, die Mongolei zu verlassen. Auch um das unvergleichliche Land und die freundlichen Menschen in guter Erinnerung behalten zu können. Bayarlalaa, Mongolia! Danke!

Next Stop Südkorea. Die Reise geht weiter!

3 Kommentare zu “Mongolei | die letzten Meter

  1. Noch viel Freude mit wenig Enttäuschungen. Im Leben zählt das Schöne doppelt und deshalb macht ihr es richtig.

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