Kolumbiens Süden | zum Trampolin des Todes

978 Kilometer

18 RadtageTage / 33 „Ruhetage“

einige Höhenmeter

1 Reifenpanne & 1 Sturz durch Hundeattacke

Route: Bogotá – la Mesa – Anapoima – Girardot – Natagaima – Desierto de Tatacoa – Neiva – Gigante – Timaná – Pitalito – San Agustin – Bruselas – Mocoa – Sibundoy – el Encano – Pasto – San Juan – Ipiales (Grenze Ecuador)

Endlich angekommen! Bogotá! Bevor wir uns aber dem süssen Nichtstun widmen konnten, waren wir unseren „Lasttieren“ eine Runde Wellness schuldig. Im Radsportbegeisterten Bogotá Radgeschäfte zu finden war einfach. Die meisten davon verkaufen nicht nur Räder, sondern produzieren auch die Rahmen selber. Der Kunde wählt die „Marke“ seines neuen Rades anschliessend selbst, in Form der entsprechenden Marken-Aufkleber. Also jede Menge mehr oder weniger spezialisierte Fachgeschäfte zur Auswahl. Bloss, welchem wollten wir unsere beiden treuen Begleiter anvertrauen? Schliesslich entschieden wir uns in bester Hoffnung für die professionell daherkommende lokale „Specialized“-Vertretung. Die nötigen Ersatzteile durften wir allerdings selbst besorgen, was zwei Tage in Anspruch nahm und nur teilweise von Erfolg gekrönt war. Schliesslich durften wir aber zwei frisch gewartete, geschmierte und polierte Räder entgegennehmen! Wie neu!…also gönnten wir ihnen erst einmal Ruhe, wenigstens bis zum nächsten Sonntag. Denn Sonntags ist in Bogotá jeweils „Ciclovia“ angesagt und die Septima, eine Hauptverkehrsader der Stadt, und einige andere Strassen werden für den Verkehr gesperrt. Und dann wird Rad gefahren! Alt, jung, dick, dünn, Mann, Frau, Kind, Hund, alle tummeln sich in sportlicher Freude und entsprechenden Outfits auf den gesperrten Strassen – Rowdytum pur! So chaotisch, dass es uns das Fürchten lernte und wir beteten, den Tag ohne Unfall zu überstehen. Was uns gelang. Die restlichen Tage machten dann aber Radfahrpause, schlugen uns gekonnt die Bäuche voll und schauten uns die Stadt an.

Ciclovia

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Bogotá

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Nach zwei Wochen Stadtleben wurden unsere Räder langsam unruhig und konnten kaum noch ruhig stehen. Also nahmen wir nach zwei schönen Wochen Abschied von Bogotá. Vor uns lagen gut 550 Kilometer bis nach San Agustin, unserem nächsten Etappenziel auf dem Weg nach Ecuador. Nach einem anfänglichen Aufstieg ging es von 2600 Metern über Meer rasant abwärts, hinunter auf knapp 400 Meter. Nach zwei Tagen Fahrt durch ländliche Gebiete erreichten wir die Provinzhauptstadt Girardot. Bereits auf der Einfallstrasse in die Stadt warnten uns Passanten auf Rädern und Motorrollern vor Ladrones, Dieben. Wir nahmen uns entsprechend in Acht und verdrückten am nächsten Morgen vor dem Verlassen der Stadt unsere zuvor gekauften Brötchen aus genau diesem Grund bei einer Tankstelle – in Sicherheit, sozusagen. Als wir dann weiterfahren wollten fragte uns der Tankwart verdutzt, ob wir nicht die Polizeistreife abwarten wollten. Dies taten wir brav. Die Streife, ein Lastwagen (!) voller Polizisten und ein Polizei-Pickup, kam kurz darauf. Die nächsten zehn Kilometer seine für uns zu gefährlich. Kurzerhand wurden unsere Räder auf den Pickup geladen (warum nicht auf den Lastwagen?). Darauf wurden wir von zwei freundlichen jungen Polizisten aus der Stadt hinaus chauffierte! …nicht aber, ohne Zwischenstopp bei einem Restaurant einzulegen, wo man uns je einen Bissen der örtlichen Spezialität „Lechona“ (gefüllte Sau, köstlich!) probieren liess. Service pur!

„Sicherheits-Shuttle“

P1000195_640x480 Als nächstes stand ein Abstecher durch die Tatacoawüste bevor. Einer trockenen Wüstenähnlichen Landschaft, deren Durchquerung stellte sich als holprige-heisse, mit viel Staub gewürzte Angelegenheit heraus. War eigentlich zu erwarten! Bizarrerweise musste, um zur Wüste zu gelangen wieder einmal der Rio Magdalena überquert werden. Auch diesmal per Kanu.

Und wieder über den Rio Magdalena

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Desierto de Tatacoa – brütende Hitze

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Nach etwa 350 Kilometern kamen wir ins Gebiet des Departements Huila und damit in die „zona roja“, die rote Zone, potentielles Guerillagebiet. Wir waren uns dessen bewusst und wurden auch unterwegs immer wieder darauf aufmerksam gemacht und uns wurde von Nachtfahrten, wildem Campen und Abstechern in ländliche, abgelegene Gebiete abgeraten. Auch erkundigten eir uns jeweils an den regelmässigen Polizei- und Militärcheckpoints nach der Situation und Sicherheitslage und bekamen immer die gleiche Antwort: Alles tranquilo, fahrt weiter. War dies so oder eher Eunschdenken? Derselben Meinung waren allerdings auch die Leute mit denen wir sprachen. So gingen wir davon aus und hofften, dass dem tatsächlich so war.

Aussicht auf den Rio Magdalena

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Stau – ungeduldiges Warten

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Wer sitzt denn da am Strassenrand?

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Wir blieben also auf der Hauptstrasse, radelten lange tendenziell steigende Tage und campten in Orten wie Gigante und Timaná bei den Bomberos, der Feuerwehr. Hier wurde uns auch erklärt, dass dies zu ihrem Service gehören würde und wir ruhig eine Woche bleiben können. Taten wir nicht, aber danke trotzdem!

Bombero-Camping in Gigante

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Bombero-Camping in Timaná

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San Agustin lag dann bereits wieder auf 1700 Höhenmetern und ist bekannt für seine antiken Steinskulpturen. Diese haben leider alle ein chinesisch anmutendes Dächlein über den Köpfen bekommen. Hält den Regen aber auch die Idylle ab.

San Agustin: Dorf und Skulpturen

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In San Agustin hatten wir uns auch mit einem Bekannten von zuhause verabredet. Roman aus dem Appenzell war per Schiff von Europa über die Karibik nach Venezuela gekommen und war seither mit dem Rucksack unterwegs. Wir hatten eine gute Zeit zusammen, tauschten Erfahrungen aus und campierten eine Woch in mehr oder weniger strömendem Regen. Und natürlich schlugen wir uns auch hier die Bäuche voll.

fantastische Landschaft um San Agustin

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Der nächste Etappe sahen wir etwas unruhig entgegen. So war ein Freund wenige Wochen zuvor auf dieser relativ abgelegenen Strecke von der Polizei vor Guerilla und Revolverhelden gewarnt worden. Wir hatten jedoch während den Zwei Tagen, welche wir für die relativ abgelegene Strecke benötigten keinerlei Probleme und keine Warnungen Seitens der Polizei auf Nachfrage betreffend Sicherheit. Die freundlichen, ihr Material reinigenden Soldaten einer mit Schützenpanzern bewaffneten Einheit des Militärs am Strassenrand mitten im Wald fragten wir lieber nicht. Wir hatten sowieso keine Wahl. Stattdessen suchten wir uns kurz darauf einen ruhigen, von der Strasse nicht einsehbaren Campingplatz für die Nacht hinter der Dorfschule. Das „Dorf“ bestand aus drei Häusern, die Schule mitgerechnet.

   Wie zuhause…

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…aber mit Problemen die wir nicht kennen: Aufruf zur Waffenniederlegung an die FARC.

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Schulhof-Camping

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Abfahrt im Nebel

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Bei Nieselregen und Nebel erreichten wir am zweiten Tag Mocoa (500MüM), am Rande des Amazonas. Unsere neunzig Tage Aufenthalt in Kolumbien neigten sich dem Ende. Bis zur ecuadorianischen Grenze lagen aber noch über zweihundertdreissig, alles andere als flache Kilometer und einige tausend Höhenmeter vor uns. Die Zeit drängte, langsam aber sicher! „Trampolín de la muerte“ (Trampolin des Todes), hiess die Strasse, die uns bevorstand – achzig Kilometer atemberaubend schöne, neblige Bergwälder. Ungeteert, steil, einspurig, teils instabil und sehr exponiert blieb hier Fahrzeugen berüchtigterweise wenig Platz zum kreuzen. Nach einigen Aufwärmkilometern wand sich die Strasse über zwanzig Kilometer in endlosen Serpentinen von 500 MüM eine steile, dschunglige und atemberaubende Bergflanke bis zur Passhöhe in den Wolken auf 2200 m hoch, bloss um dann wieder auf gut 1700m abzufallen. Diese sollten wir am ersten Tag jedoch weder sehen noch erreichen!

Hoch geht’s…

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Blick auf Mocoa…wären da nicht die Wolken

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Gegen vier Uhr nachmittags, nur drei Kilometer vor der Passhöhe und immer noch mit Blick auf Mocoa, nahmen wir das Angebot eines Kioskbesitzers, direkt neben einem festungsartigen Polizeicheckpoint in seinem Schuppen zu zelten, dankend an. Nach einem frühen Start erreichten wir am nächsten Morgen nach kurzem Aufstieg die Passhöhe, gefolgt von einer holprigen Abfahrt von rund fünfhundert Höhenmetern – herrlich! Wir genossen es und machten jede Menge Fotos – was uns aber schnell vergehen sollte. Für den Rest des Tages stieg die Strasse über dreissig, endlos gewundene und landschaftlich einzigartige Kilometer kontinuierlich bis auf 2600 MüM hoch. Die abschliessende Abfahrt ins auf 2000MüM gelegene Städtchen Sibundoy, welches wir kurz vor Sonnenuntergang erreichten, war danach reinste Entspannung.

Nachtlager: Kiosk beim Checkpoint

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Trampolín de la Muerte, Teil zwei

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Mit nur zwei verbleibenden Visum-Tagen kamen wir in Sibundoy an, wo uns die Familie Aguillon Chindoy mit offenen Aürmen empfing und gleich dazu überredete, doch anstatt in „europäischer Eile“ zur Grenze zu rasen, lieber am nächsten Tag mit dem Bus in die naheliegende (eineinhalb Stunden pro Weg) Departementshauptstadt Pasto zu fahren und unser Visum zu verlängern. So könnten wir länger bei ihnen bleiben und mehr von ihrer Kultur sehen – was wir auch taten, wir blieben eine Woche! Die Familie Aguillon Chindoy um Vater Benjamin und Mutter Rosario nehmen gerne Radreisende auf. Sie gehören, obwohl sie sich relativ „westlich“ kleiden, der Indio-Kultur der „Kamentsa“ an und leben dieses Erbe sehr bewusst. Sie sprechen (neben Spanisch) eine eigene Sprache, Kamentsa, welche keinerlei Verbindungen zu anderen indigenen Sprachen Südamerikas aufweist – die einzige Ähnlichkeit besteht mit „Bahasa Indonesia“, der Sprache Indonesiens. Sie liessen uns und Matt (ein englischer Radtourero, der einen Tag nach uns „eingefahren“ war) eine Woche lang an ihrem Alltag und ihrer Lebensfreude teilhaben.

Familie Aguillon Chindoy

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Mutter Rosario

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Eines Morgens nahm uns etwa Jacobo, einer der Söhne, mit auf die Finca (Bauernhof), um uns (wenig erfolgreich) das Melken der Kühe beizubringen.

Melken mit Jacobo, Matt und Hund Falcon

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Zum krönenden Abschluss unseres Aufenthalts kauften wir für alle Cuy – eine hier teure Spezialität. Bei deren Zubereitzung der drei kleinen Nager durften wir natürlich mit Hand anlegen. Für die Aguillons ein Spass, für uns etwas aussergewöhnliches. Erst wurden sie im Schuppen hinter dem Haus getötet, ins heisse Wasser getaucht und dann Büschel um Büschel „gerupft“. Tags darauf wurde dann im Hof der Grill aufgestellt und nach einer Stunde auf dem Grill waren die kleinen, mittlerweile goldbraunen Kreaturen bereit und wurden im Kreise der Familie verzehrt, wobei die Köpfchen dem Familienoberhaupt zustanden. Dann war es auch schon an der Zeit weiter zu ziehen und der Abschied fiel schwer.

Cuyes…

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…alle helfen mit!

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Für die 1 1/2 Stunden-Busstrecke nach Pasto benötigten wir zwei Tage und kamen mehr oder weniger krank dort an. Meerschweinchen lassen sich wohl nicht einfach so verzehren – die Rache der Cuyes mussten wir nun ausbaden! Von Pasto erreichten wir in zwei Bergetappen (2000 Höhenmeter, 90 km) die Grenze zu Ecuador bei Ipiales, einer lebendigen Grenzstadt.

Unterwegs nach Pasto

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Immer wieder im Mittelpunkt!

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Shopping am Straßenrand – Früchte, die es gar nicht gibt!

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Nach über drei Monaten und 2610 gefahrenen Kilometern in Kolumbien war es an der Zeit, ein neues Land heimzusuchen.
Adios Colombia!

Galerie mit obigen Fotos und mehr!

4 Kommentare zu “Kolumbiens Süden | zum Trampolin des Todes

  1. Mi ha fatto piacere di leggere questo articolo e questi belli foto…paparello e mamarella

  2. wow! sooooo viel Höhenmeter. Wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht. Papagei kann’s immer noch nicht fassen. Witer so und gän sorg!

  3. Es isch gewaltig dia Erlebnis und dia schöna Foti, i kann ned ufhöra lesa. Spannend wia dr bescht Roman. Danke das mir das so miterleba dörfed. Guati Fahrt und all Tag an grossa Schutzengel.

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