Oktober / November 2017
11 Radtage, 4 Ruhetage
580 km, 99,5 % asphaltiert
Seoul — von der Steppe in die Stadt
DMZ — Besuch an der Grenze
‚Urban Camping‘ — Parks, Parkplätze und Gedenkstätten
Pyeong Chang — Vorbereitungen auf Olympia 2018
Der zweistündige Flug von der Mongolei nach Südkorea war ein Flug in eine andere Welt. In eine Welt voller Menschen, Hektik, Verkehr und Sauberkeit. Auf Fussgängerstreifen und rote Ampeln war Verlass und überall leuchteten LED in allen Farben. So hatten wir uns eigentlich Japan vorgestellt, nicht Südkorea. Die ersten Tage in Seoul kamen wir in den Genuss der Gastfreundschaft unserer weit gereisten ‚Warmshower‘-Hosts Ji-Hyun und Jung Song. Sie nahmen uns in ihrem gemütlichen, als Treibhaus getarnten Heim am Rande der riesigen Metropole Seoul auf. Von dort erkundeten wir die Stadt — sie hatte so einiges zu bieten — und machten uns mit den Eigenheiten einer ’neuen‘ Kultur vertraut. Dazu gehörten neben Sightseeing auch Streifzüge durch verschiedene ‚Convenience Stores‘ und Supermärkte zur Erkundung des Angebots und um herauszufinden, womit wir wohl unsere ‚Framebags‘ für unterwegs füllen könnten.
Mit einem Kilo Reis und ein paar Packungen Nudelsuppen im Gepäck verabschiedeten wir uns nach einigen Tagen von Ji-Hyun und Sung Jong. Siebzig Kilometer auf (Süd-)Koreas grosszügigen Radwegen später waren wir immer noch in Seoul. Jetzt war es an der Zeit, unser neues Camping-Konzept zu testen. Während koreanische Familien ihre (Sonnen-)Zelte abbauten und sich auf den Heimweg machten, stellen wir unser kleines Zelt mitten in einem Park auf. Um uns herum führten Menschen ihre Hunde und Katzen aus, statteten dem nahen öffentlichen und mit klassischer Musik berieselten Klo einen Besuch ab oder drehten bloss eine Runde auf dem Rennrad. Wir krochen ins Zelt und hatten eine unruhige Nacht — so viel nächtliche Aktivität um uns herum waren wir nach der Mongolei nicht mehr gewohnt. Der Trick am Park-Camping lag schliesslich darin, das Zelt spät aufzustellen und vor Sonnenaufgang wieder abzubauen. Es sollte sich bewähren und wir verbrachten den Grossteil unserer Nächte in Korea im Zelt in städtischen Parks, auf Parkplätzen, an Stränden, neben einer Driving Range und neben öffentlichen Toiletten. Einmal pro Woche gönnten wir uns ein ‚Motel‘ — der Dusche wegen.
Auf dem ‚Bukhangang‘ Radweg, dem gleichnamigen Fluss nach Nordosten folgend, liessen wir Seoul hinter uns und kamen die nächsten Tage ob der unglaublichen Radweg-Infrastruktur nicht mehr aus dem Staunen heraus. Mindestens alle paar Kilometer gab es speziell für uns (Radfahrer) aufgestellte öffentliche Toiletten, fest montierte Luftpumpen, erholsame Parks und schattenspendende Pavillons. So gondelten wir in gemächlichem Tempo durch die malerischen Berge des südkoreanischen Nordens und machten ‚Ferien‘. Wir hielten an jeder Ecke, kurvten durch kleine Dörfer, machten Fotos und legten Kaffeepausen ein.
Nach einigen Tagen erreichten wir die kleine Stadt Yanggu an der berühmt-berüchtigten und hochaktuellen ‚DMZ‘, der seit dem Ende des Koreakriegs 1953 entmilitarisierten Zone an der Grenze zu Nordkorea. Dort gab es im ‚Eulji Observatory‘ die Möglichkeit, einen Blick über das Niemandsland zu erhaschen, wo sich nord- und südkoreanische Truppen, am 38. Breitengrad durch einen 4 km breiten Streifen getrennt, seit Jahren in höchster Bereitschaft gegenüber stehen. Je näher wir der Grenze kamen, umso spürbarer wurde die Militärpräsenz. Panzersperren, Lastwagen und Truppen gehörten bald zum Strassenbild und Helikopter oder Jets dröhnten regelmässig über unseren Köpfen. Passend dazu hielt um uns herum der Winter Einzug. Die letzten farbigen Blätter verschwanden und die Temperaturen sanken tagsüber unter 10° Grad und nachts zum Gefrierpunkt.
Ein Besuch der DMZ auf eigene Faust wollte geplant sein. Vor dem Besuch der Grenze mussten wir in Yanggu das nötige ‚Permit‘ besorgen. Dieses hatten wir nach ein paar Stunden im Irrgarten eines koreanischen Verwaltungsgebäudes in unseren Händen und konnten die verbleibenden 40 km zur Grenze in Angriff zu nehmen. Dort warteten am nächsten Tag die nötigen Dokumente bereits auf uns und gegen eine Eintrittsgebühr von 7’000 Südkoreanischen Won, umgerechnet 6.- CHF, bekamen wir die endgültige Erlaubnis zum Besuch der Grenze. Doch es galten Vorschriften. Sie besagten, dass eine Annäherung an die DMZ auf dem Fahrrad nicht erlaubt sei. Doch eine Lösung war schnell gefunden: Unsere Räder wurden unter einer der allgegenwärtigen Überwachungskameras abgestellt, und wenig später sassen wir bereits in einem Bus voller koreanischer Senioren und bekamen Früchte und Getränke zugesteckt. Unter den fürsorglichen Fittichen der Reisegruppe aus Busan besuchten wir zuerst den mehrere Kilometer langen ‚4th Infiltration Tunnel‘. Der Tunnel war von der nordkoreanischen Armee in feindlicher Absicht in über 400 m Tiefe in den Fels unter der südkoreanischen Grenze getrieben worden. Der Besuch des Tunnels war eindrücklich und mit einem strikten Fotoverbot belegt. Von freundlichen jungen Soldaten geführt marschierte die ganze Gruppe in Zweierreihe durch den (nach der Entdeckung gegrabenen) südkoreanischen Zugangsstollen in den Berg hinein. Nach einigen hundert Metern im Berg trafen wir auf den nordkoreanischen Tunnel. Dort erwartete uns eine kleine Eisenbahn, welche uns in kleinen Gruppen einige Meter in den 1,7 m hohen und ebenso breiten, in den rohen Fels getriebenen Tunnel hinein und wieder zurück chauffierte.
Um den strikten Zeitplan unserer Reisegruppe einzuhalten, sassen wir kurz darauf wieder im Bus. Nun ging es an die DMZ, die wir bisher ja nur von ‚unten‘ erlebt hatten. Vom Innern einer spiegelverglasten Aussichtsplattform aus blickte man auf das 4 km breite Niemandsland. Dahinter lagen die Grenzposten und Befestigungsanlagen Nordkoreas. Das Observatorium war ein eigentümlicher Ort, an dem zwar der Verkauf von Popcorn durchaus nicht fehl am Platz gewesen wäre, der einen aber trotzdem erschaudern liess.
Und das Schaudern ging weiter. Zurück beim ‚Unification Center‘ und bei unseren Rädern, immerhin 7 km von der Grenze entfernt, erhielten wir die Erlaubnis, direkt auf dem Gelände des Koreakriegs- Denkmals zu campieren. Bereits am Morgen hatten wir in Grenznähe von irgendwo her relativ laute Musik vernommen. Da hatten wir den Musikgeschmack der unbekannten Person ernsthaft angezweifelt, uns aber nichts weiter gedacht. Doch mit Anbruch der Dunkelheit drehte der Wind. Die Musik dröhnte nun plötzlich um ein Mehrfaches lauter. Was uns in dieser Nacht keine Ruhe gönnte, entpuppte sich am Morgen darauf als nordkoreanische Propagandamusik von jenseits der Grenze.
Mit der DMZ waren wir am nördlichsten Punkt unserer Reise in Korea angekommen. Wir drehten nach Süden ab. Von unserem Ziel Busan, der Hafenstadt im Südosten Koreas, trennten uns noch etwa 1000 km und ebensoviele Berge. So wand sich unser Weg in den folgenden Tagen durch die wunderbar schroffen Berge Gangwons, Südkoreas nordöstlichster Provinz. Versuche, den geteerten Strassen den Rücken zu kehren, hatten gemischten Erfolg. Während wir am Eingang zum ‚Soeroksan Nationalpark‘ sämtliche koreanischen Hinweistafeln nicht lesen und eine geschlossene Schranke ungehindert passieren konnten, wurden wir mit unseren Rädern am Tor zum ‚Odaesan Nationalpark‘ bestimmt (und leicht misstrauisch) abgewiesen.
Immer noch in den Bergen erreichten wir schliesslich die Region Pyeong Chang. Hier liefen die Vorbereitungen auf die im Februar 2018 bevorstehenden Olympischen Winterspiele auf Hochtouren — es war kaum zu übersehen. Im Umkreis von 100 km wurden Strassen aufgerissen, Stadtzentren gepflastert und öffentliche Toiletten saniert. Hotels wurden eröffnet, Autobahnen gebaut. Uns schien, es gebe noch einiges zu tun. Durch den ganzen Trubel neugierig gemacht, beschlossen wir, der Sache auf den Grund zu gehen, und statteten dem künftigen Olympiastadion einen Besuch ab. Es war nicht abgeschlossen.
Nach dem Olympia-Augenschein trennte uns ein letzter kleiner Pass von der Hafenstadt Gangnueng an Koreas Ostküste. Dort wartete der Pazifische Ozean, wärmere Temperaturen versprechend.
Zum Schluss die Galerie: