Mongolei | hinaus in die Wildnis

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Juli / August 2017
14 Tage, davon 3 Ruhetage
605 km, davon 175 asphaltiert

Ulaanbaatar— Ankunft ohne Gepäck
Im Sattel — Jurten, Sand & Wodkaflaschen
Natur pur — Pferde, Stiere, Wolfsgeheul
Camping — Gewitter, Stürme & eine Sturzflut

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Route von Ulaanbaatar nach Tsetserleg | Ulaan Baatar — Altanbulag — Undurshireet — Erdenesant — Rashant — Kharkhorin — ‚Orkhon Valley‘ — Tsetserleg

GPX Tracks: Ulaanbaatar – Kharkhorin; Kharkhorin – Tsetserleg

Der Blick auf endlos rollende und von sandigen Jeepspuren durchschnittene Hügel beim Anflug auf Ulaanbaatar, der Haupstadt der Mongolei, löste in uns Nervosität und Vorfreude zugleich aus. Mit einem Upgrade unseres Fluges von Zürich nach Moskau, und einem zum Frühstück (!) servierten Becher Eiscrème kurz vor der Landung in der Mongolei hatte uns Aeroflot eigentlich gut unterhalten. Dabei blieb aber unser Gepäck – wie auch das der meisten Passagiere – auf der Strecke und kam in den unverhofften Genuss eines verlängerten, visafreien Stopovers in Russland.

Bereits einen Tag später durften wir aber Räder und Ausrüstung glücklich in die Arme schliessen. Nach einigen Tagen ‚Rekalibrierung‘ im relativ westlich anmutenden Ulaanbaatar, ritten wir in die mongolische Steppe hinaus beziehungsweise pedalten über eine neue Strasse am Flughafen vorbei westwärts, vorbei an Jurten, Pferden und neuen Plattenbauten.

Letzte Blicke auf Ulaanbaatar.

Keine 40 km später endete der Asphalt und wir fanden uns in genau jenen Hügeln wieder, welche wir wenige Tage zuvor bereits von oben gesehen hatten. ‚Mission Mongolia‘ konnte beginnen! Unsere Routenwahl schien vielversprechend, unsere Reifen spielten im Sand, und abgesehen von einem gelegentlichen Auto oder Lastwagen teilten wir die mongolische Steppe nur mit Pferdeherden, leeren Wodkaflaschen und deren hunderttausend Scherben.

Pferdeherden, so hatten wir uns die Mongolei vorgestellt!

Der erste Tag im Sattel war sonnig. Am frühen Nachmittag passierten wir das letzte Dorf, eine Ansammlung von Jurten und Zäunen. Auf der Suche nach einem geeigneten Nachtplatz stiessen wir gegen Abend auf eine leichte Vertiefung in der sandigen Weite: Schutz vor neugierigen Blicken, nächtlichen Windböen und, vor allem, vor Blitzen. Die Freude über den gefundenen Lagerplatz war gross, ebenso der Hunger. So hatten wir, als sich wie aus dem Nichts über uns eine Gewitterwolke formte und sogleich zum Angriff bliess, bereits gegessen und flüchteten in die trockene Sicherheit unseres Zeltes. Der darauf folgende Hagel und die Windböen hätten einen beinahe gemütlichen Abend einläuten können.

Doch ein kurzer Blick nach draussen bereitete der Gemütlichkeit ein Ende. Bereits sassen wir mitten in einem Bach, der mit jeder Sekunde stärker wurde! Nur in Unterwäsche bekleidet, und binnen Sekunden völlig durchnässt, konnten wir erst Gepäck und dann unser Zelt gerade noch an eine nur wenige Meter entfernte, höher gelegene Stelle retten, während die Fluten — nein, ich übertreibe nicht! Fluten — um uns herum anstiegen. Kaum waren Zelt und Ausrüstung einigermassen in Sicherheit, merkten wir, dass wir von unseren Rädern mittlerweile durch diesen neuen Fluss getrennt worden waren — und sie darin zu versinken drohten! Im Halbdunkel und bei natürlichem Blitzlichtgewitter überquerten wir die schlammige, mittlerweile oberschenkeltiefe und bedrohlich reissende Flut. Daina wäre um ein Haar mitgerissen worden! Doch darüber nachzudenken, hatten wir mitten im Sturm keine Zeit. Wir legten die Räder einige Meter vom Fluss entfernt nieder und durchquerten die Sturzflut nochmals, nur um zu entdecken, dass unser Zelt, in der Hitze des Gefechts mit unseren Drybags und den verbleibenden Häringen notdürftig gesichert, vom Wind komplett niedergedrückt wurde, aber immerhin standhielt. Doch schon begann das Wasser die Wände des neu geschaffenen Flussbetts einzureissen. Mit dumpfem Dröhnen brachen die Flanken gleich meterweise ein und auch uns unter den Füssen weg. Plötzlich war unser Zelt erneut in Gefahr. Es drohte in die tosend-braune Suppe zu stürzen. Wieder war Handeln angesagt.

Der mit voller Wucht tobende Sturm wollte sich noch nicht geschlagen geben und das Gewitter wütete weiter. Mittlerweile in Regenbekleidung, aber immer noch durchnässt — denn nein, zum Abtrocknen und Föhnen war beim Umziehen keine Zeit geblieben — kauerten wir uns an einen schützenden Abhang, hofften, nicht vom Blitz erledigt zu werden, und begannen erbärmlich zu schlottern! Es kam also keine Langeweile auf und dies sollte auch bis nach Mitternacht so bleiben. Erst dann konnten wir in unser zwar komplett durchnässtes, aber unversehrtes Zelt kriechen und uns, wie Kinder, über die trockengebliebenen Schlafsäcke freuen.

Der Morgen danach: Das ’neue‘ Flussbett trocknet in der Sonne. Unsere Räder (links) und das Zelt (rechts) sind stumme Zeugen der nächtlichen Turbulenzen.

Am nächsten Morgen bot sich ringsum ein Bild der Zerstörung. Zu unserer grossen Freude liess sich jedoch bald die Sonne blicken und bereits am Mittag waren unsere Sachen wieder getrocknet. So nah können Freude und Leid beieinander liegen. Wir schwangen uns, erschüttert durch die Ereignisse der vergangenen Nacht, in die Sättel unserer frisch gefluteten Räder und strampelten durch eine über weite Strecke vom Wasser verwüstete und zerfurchte Landschaft.

Die folgenden zwei Tage führten uns durch ein breites, aber ausgetrocknetes, sandiges Tal. Dessen Unfruchtbarkeit spiegelte sich in den immer grösser werdenden Abständen der Jurten (in der Mongolei ‚Ger‘ genannt). Zierten sie anfangs das Tal wie weisse Perlen im Abstand von wenigen Kilometern, so wurden es nun, keine 100 km später, immer weniger. Wasser war knapp, dies bekamen auch wir zu spüren. Die Regennacht hatte uns einiges an Wasserreserven gekostet und so schöpften wir schon bald Wasser aus den letzten trüben Pfützen, bevor auch diese austrockneten. Weniger ausgetrocknet waren die beiden Herren, welche uns am zweiten Morgen in traditioneller Tracht mehrfach überholten und dabei, sturzbetrunken wie sie waren, mindestens einmal vom Motorrad purzelten. Dasselbe Schicksal ereilte wenige Tage später einen Reiter im kleinen Ort Undurshireet. Don’t drink and ride.

Heiss, sandig und trocken. Gab es hier wirklich Gewitterstürme?!

Die Nomaden ziehen etwa alle drei Monate um, sie tun dies mit Sack und Pack und Ger, jedoch nicht mehr auf Pferden oder Kamelen, sondern mit chinesischen Kleinlastern oder dem in der Mongolei unglaublich beliebten Toyota Prius.

In der zweiten Nacht blieben wir von Unwetter verschont, uns sass der Schreck in Form von Erschöpfung aber immer noch in den Knochen. Nachdem wir der Einladung einer Nomadenfamilie zu Tee, Buuz (Teigtaschen mit Fleischfüllung) und mongolischem Nachmittagsfernsehen in ihrer ‚Ger‘ gefolgt waren, beschlossen wir am dritten Tag beim Anblick eines kleinen Flusslaufes mit Schatten spontan, bereits um drei Uhr die Segel zu streichen und uns in den Schatten einiger Bäumchen zu legen. Wir hatten ein bisschen Erholung verdient.

Doch so einfach sollte es dann doch nicht sein! Wie nach solch entspannten Nachmittagen üblich, lauerte die Überraschung in der Dämmerung. Kaum lagen wir im Zelt, begannen in der Ferne Hirtenhunde zu heulen. Erst links, dann rechts, mal nah, dann in der Ferne. Damit konnten wir leben. Weniger angenehm waren die Stiere, welche sich gegen neun um uns herum gruppierten. Anscheinend, und wir hätten es anhand der abgebrochenen Äste wissen müssen, hatten wir ihren bevorzugten Hörnerwetz-Platz besetzt, und so schnaubten, trampelten und randalierten sie in den Büschen rings um unser Zelt herum, bis sie irgendwann in ein tiefes Schnarchen verfielen. Wir taten es ihnen gleich — und wurden morgens um fünf durch eindringliches, erschreckend nahes Geheul und Geschnüffel direkt um unser Zelt aufgeschreckt. Dies dauerte eine Weile an, kam näher, entfernte sich und ging dazwischen in ein fieses, hyänenartiges Gekicher über. Wölfe….Wölfe? Wölfe! Wir sahen uns an und legten uns schlafen, zugegebenermassen etwas nervös. Wir würden wohl hoffentlich nicht in deren Beuteschema passen. Der freundliche Hirte, der uns am nächsten Morgen zum Tee in seine ‚Ger‘ einlud, bestätigte unseren Verdacht. Wir hatten Wolfsbesuch bekommen, auch seine Hunde hatten in der Nacht zuvor Witterung aufgenommen. Wir wollten Natur, wir hatten Natur.

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Im Gegenzug kann die Abfahrt ‚buttrweich‘ und der Wind zahm sein.

Es finden sich Felsformationen mit Weitsicht…

…und Campspots mit Ausblick.

Mit den letzten Sonnenstrahlen sinkt die Chance entdeckt zu werden und damit auf unliebsame Begegnungen mit Vodkagetränkten Zeitgenossen.

Weiterhin hielt das Wetter immer wieder Überraschungen für uns bereit. Dazu kam, dass Robins Knie unserem Vorhaben nicht durchwegs positiv gesonnen war und wir uns zu Beginn auf kürzere Tage im Sattel beschränken mussten. Eines Morgens, wir hatten die Nacht keine 300 m von der Hauptstrasse entfernt hinter einer wunderbaren Felsformation verbracht, gab sich das besagte Knie schon beim Aufstehen widerwillig. So beschlossen wir, nach fünf Tagen im Sattel, einen Ruhetag einzulegen und, auch aus Mangel an Wasser für einen weiteren Tag, für einen Tag und eine Nacht in einem nahegelegenen Ger-Camp, einem Jurtenhotel, einzuziehen. Hier konnten wir dem gegen Abend aufziehenden Sturm getrost entgegensehen. Doch die Wucht, mit welchem dieser schliesslich zuschlug, war trotz unserer Erfahrung in der ersten Nacht überraschend. Wieder begann es mit Sturmböen und starkem Regen, welcher bald in Hagel überging. Bald hagelte es auch im Innern der Jurte durch die wenigen Ritzen in der Dachöffnung und der Sturm wurde so stark, dass die ganze ‚Ger‘ zu vibrieren begann und es sich anfühlte, als ob das ganze Jurten-Raumschiff gleich abheben würde! Tat es aber nicht. Doch plötzlich entstandene kleine Bäche verwüsteten einige der Jurten um uns herum und spülten deren chinesische Tourgruppen-Bewohner beinahe mitsamt Möbel ins Freie. Diesmal blieben wir verschont.

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Jurten haben oft schöne Türen, die immer nach Süden ausgerichtet sind…

…und ein ‚Dachfenster‘ für den Kamin…

….und glühen im Dunkeln. Die Konstruktion aus Latten, Filz und Stoff hält dicht – einigermassen. Dafür lässt sich’s damit locker alle 3 Monate umziehen.

Unsere erste Zwischenstation, Kharkhorin (Karakorum), entpuppte sich als kleines Nest mit einem schönen, buddhistischen Tempel. Nach drei Knie-Ruhetagen verliessen wir die einstige Hauptstadt der gefürchteten Mongolen. Für die Weiterfahrt hatten wir uns eine schöne Route nach Tsetserleg herausgesucht, einer Provinzhauptstadt am Rande der Khangai-Berge. Diese führte uns, auf nicht eben direktem Weg und erst dem Fluss ‚Orkhon‘ folgend, durch eine Bilderbuchlandschaft von oft saftig grünen Hügeln, vorbei an weidenden Herden von Yaks, Schafen, Ziegen, Kühen und Pferden. Während die struppigen Yaks, sie schienen uns kleiner als ihre tibetischen Freunde, sich meist nicht aus der Ruhe bringen liessen, flüchteten Hundertschaften von Ziegen und Schafen, sobald wir in ihre Nähe kamen. Ganze Herden von galoppierenden, wiehernden Pferden vergnügten sich hingegen auch ohne unser Zutun.

Das Kloster in Kharkhorin wurde unter sovietischer Herrschaft zu grossen Teilen zerstört, doch einiges blieb bestehen. Schönes.

Die enge Verwebung des mongolischen und tibetischen Buddhismus sticht ins Auge….

…Gebetsmühlen beten tausend Gebete für den armen Sünder…

…denn, viel hilft viel!

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Das kleine Städtchen Tsetserleg entpuppt sich als geschäftiges kleines Nest.

Immer wieder trafen wir Hirten. Diese trieben, mal auf dem Motorrad, mal zu Pferd, ihre Tiere zusammen. Wir wurden zu Tee, Fleischgebäck (Buuz) oder ein paar Happen luftgetrocknetem, beinhartem Käse in Jurten eingeladen, oder man setzte sich einfach nur neben uns, wenn wir Passanten während einer Pause ein Stück Brot oder ein paar Kekse anboten. Die Kommunikation allerdings gestaltete sich oft schwierig und verlief, trotz ‚Phrasebook‘, nach kurzer Zeit meist im Sand. Denn Mongolisch scheint uns eine Sprache zu sein, die es eigentlich nicht geben kann, geschweige denn, dass jemand sie versteht. Unsere Versuche jedenfalls ernteten oft bereits ob unserer Aussprache des Wortes ‚Danke‘ verständnislose Blicke — wir werden es trotzdem weiterhin versuchen.

Auch hier gibt es Fleisch: Restaurant an der Landstrasse. Man versteht uns oft nicht und hofft, dass das Problem (wir!) schnell wieder geht. Versteht man uns doch ist das Essen lecker und der Milchtee salzig.

Die Menschen auf dem Land leben ein hartes, einfaches Leben….

…zu Pferd oder auf chinesischen Motorrädern hüten sie Herden von Pferden, Yaks, Ziegen und Schafen.

Sie sind meist freundlich und nach etwas Aufwärmzeit sehr herzlich! Hier geht es zur Feier des Tages gerade einem Schaf ans Eingemachte, denn…

…man isst Fleisch! Willkommen in der Mongolei!

3 Kommentare zu “Mongolei | hinaus in die Wildnis

  1. Schön wieder mal was von Euch lesen zu dürfen. War wie immer interessant und super unterhaltend geschrieben. Danke Euch.

  2. Wow, was für ein Abenteuer, das war ja gerade hochspannend!!
    Ihr seid meine Helden. Ich sag’s immer gerne wieder.
    Passt gut auf euch auf ihr beiden, davon möchten wir gerne mehr lesen!
    Wir lieben euch
    Bussarl
    Jim

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